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Warum die Fischer in Ghana leiden

Westafrika

Warum die Fischer in Ghana leiden

Philipp Lichterbeck

Von Philipp Lichterbeck

Di, 24. Juni 2014

Ausland

Keiner wird mehr satt: Supertrawler, auch aus der EU, plündern die Meere vor Westafrika – wie ein Fischer aus Ghana verzweifelt um schrumpfende Fischbestände kämpft.

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    Die Fischer James, Ahene und Joshua  b... auf die leeren Fanggründe ihrer Väter  | Foto: Philipp Lichterbeck Die Fischer James, Ahene und Joshua blicken ratlos auf die leeren Fanggründe ihrer Väter Foto: Philipp Lichterbeck

    Die Fischer James, Ahene und Joshua  b... auf die leeren Fanggründe ihrer Väter  | Foto: Philipp Lichterbeck Die Fischer James, Ahene und Joshua blicken ratlos auf die leeren Fanggründe ihrer Väter Foto: Philipp Lichterbeck

     

 


 

Stille über dem Ozean. Zwei Stunden lang dröhnte der Außenborder, dann hat Joshua Akaa ihn per Knopfdruck abgestellt. Schweigend steht der Fischer am Heck seiner Piroge und lauscht in die Nacht hinein. Es ist fünf Uhr morgens auf dem Golf von Guinea, über dem 38-Jährigen treiben Wolkenfetzen vor den Halbmond, unter ihm schlägt das Wasser schmatzend gegen die Holzplanken seines Boots.

 

 


Nach einer Weile sagt Joshua: "Ich kann die Fische hören. Ich weiß, wohin sie schwimmen." Er startet den Motor wieder und steuert weiter hinaus aufs offene Meer. Als die letzten Lichter der Küstendörfer verschwunden sind, drosselt er die Fahrt. Er wirft eine Handvoll Sand ins Wasser und entscheidet: "Hier!"

Wieder einmal soll sich Joshua Akaa irren. Drei Stunden zuvor hatte er sich mit den Hilfsfischern James und Ahene am Strand des Orts Kokrobite getroffen, wo seine Piroge im Sand liegt. Joshua schraubte den kleinen Yamaha-Motor am Boot fest und gemeinsam schoben sie das acht Meter lange Gefährt ins Meer. Kokrobite liegt 30 Kilometer westlich von Accra, der Hauptstadt Ghanas. Früher war es ein reines Fischerdorf, dann entdeckten Touristen die Palmenbucht, und Ausländer investierten in kleine Hotels und Strandbars. Seitdem kommen Rucksackreisende, Entwicklungshelfer und Botschaftsangehörige, um sich zwischen den bunten Booten der Fischer zu sonnen, eine pittoreske Kulisse. Jedoch spielt sich dahinter ein Drama ab, das man nicht sehen kann. Denn es handelt von der Leere – im Meer, im Netz und auf dem Teller.

Als Joshuas nächtliche Entscheidung gefallen ist, wirft er einen Anker aus und James und Ahene bringen das Netz aus. Es ist aus Nylon, zwei Meter breit, Plastikschwimmer und Gewichte halten es in der Senkrechten. Die Männer schweigen, die Arbeit ist monoton. Nur ab und zu stimmt Joshua ein Lied an: "Looloo, looloo, looloo." In seiner Sprache Ga, die um Accra herum gesprochen wird, heißt "loo" Fisch. "Looloo, looloo, looloo."

 

 

Positionslampen?

Wer soll die bezahlen?

Als es eine Stunde später grau-rosa dämmert, tauchen Dutzende andere Fischerboote auf dem Ozean auf – bananenförmige Pirogen mit Außenbordern, wie die von Joshua, einige Segler, nicht größer als Nussschalen, aber auch große, imposante Holzschiffe, auf denen ein Dutzend Seeleute im Akkord arbeiten. Trotz ihrer nächtlichen Fahrt ist keins der Boote beleuchtet. "Positionslampen?", fragt Joshua, "wer soll die bezahlen?"

Er und seine Crew sind sechs Nächte pro Woche auf dem Wasser, ohne Kompass, Funkgerät oder Handy. Joshua Akaa fährt seit 26 Jahren hinaus aufs Meer. Sieht man von dem 20-PS-Außenborder ab, fischt er noch so wie sein Urgroßvater. "Sterne, Wind, Wellen, Intuition", sagt er, seien seine Navigationsinstrumente. Das antwortet er auch auf die Frage, woher er weiß, wo die Fische sind.

James zieht einen Blechtopf unter einer der Sitzbänke hervor. Darin ist ein Püree aus Sardinen und Yams, einer Krautpflanze, das die Männer sich wortlos mit schwieligen Händen in den Mund schaufeln. Joshuas Augen unter der Baseballkappe wandern unruhig hin und her. Auf seinen Wangen prangen Stammesnarben, seinen Oberkörper hat er in einen blauen Mantel gehüllt. Joshuas Gehilfen tragen weite, fleckige Baumwollhosen und Hemden. James, 32, hat ein knochiges Gesicht, in das sich tiefe Furchen gegraben haben. Ahene ist 19 Jahre alt, ein langer Mann mit sehnigen Beinen und breitem Lächeln. Beide bekommen am Ende jeder Fahrt 25 Prozent des Fangs. Joshua stellt Motor, Benzin und Netz. So ist die Abmachung. Nach dem Frühstück balanciert James barfuß zum Bug und holt das Netz ein. Die Ernte hat begonnen. Dabei bleibt der Motor aus, um Benzin zu sparen. Joshua und Ahene nehmen die Maschen des Netzes auf, legen es sorgfältig auf dem Boden zwischen den Holzbänken zusammen. "Loo, loo, loo. Loo, loo, loo."

Joshuas Boot heißt "Oneday". Es ist aus dem leichten hellen Holz des Abachi-Baums geschnitzt. An einer Stelle unterhalb des Bugs steht in blauer Farbe "John 3:16", ein Vers aus dem Johannesevangelium: "… damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden". Ganz weltlich flattert an einer Stange die Fahne von Ghanas Regierungspartei, der sozialdemokratischen NDC. Seit der 2012 verstorbene Präsident John Atta Mills von der NDC den Treibstoff der Fischer subventionierte, sind diese feste Parteigänger. Joshuas Außenbordmotor hat eine Füllung von 24 Litern, die kosten umgerechnet 20 Euro. Wenn es schlecht läuft, dann ist das eine Tageseinnahme.

Es dauert einige Minuten, bis die ersten Fische in den Maschen des Netzes zappeln: drei Rote Schnapper. Dann muss James die Arbeit unterbrechen, weil sich das Netz der "Oneday" mit dem eines anderen Boots verheddert hat. Ahene springt ins Meer und schafft es nach einigem Tauchen, die Netze zu entwirren.

Mit der Zeit holt James immer mehr Fische an Bord – aber keiner ist länger als 20 Zentimeter. Schnapper, Makrelen und Sardinen. Die Männer lassen sich die Enttäuschung nicht anmerken. Nur als Joshua einen Riss im Netz bemerkt, flucht er. "Das war ein großer Bursche!" Als bald das schwarze Fähnchen, das den Netzanfang markiert, auftaucht, übernimmt Ahene den Job von James. Das Erste, was er zutage fördert, sind zerfetzte Quallen. Es folgen Plastiktüten, Plastikflaschen, Kunststoffsandalen, wieder einige Makrelen, Sardinen und Schnapper.

Einzige Unterbrechung der Monotonie ist ein Streit mit der Besatzung eines anderen Boots, der "Drogba", die die Fahne der Elfenbeinküste gesetzt hat. Zehn Männer wuchten auch dort ein fast leeres Netz an Bord. Der Streit ist absurd: Man beschuldigt einander, brüllend übers Wasser hinweg, nicht gegrüßt zu haben. Fäuste werden geschüttelt. Die Anspannung hat auch mit der Konkurrenz zu tun. "Es gibt zu viele Fischer", sagt Joshua. "Keiner wird mehr satt." Nach einer Stunde übernimmt er selbst die letzte Schicht. Doch auch er hat nicht mehr Glück. Nur am Ende greift er einen wild mit dem Schwanz schlagenden Hummer aus dem Netz. Aber der kann die Stimmung an Bord auch nicht mehr aufhellen. Joshuas Intuition hat versagt.

Oder steckt etwas anderes hinter dem leeren Netz? Ghanas Küstengewässer zählten einst zu den fischreichsten der Welt: Barrakudas, Heringe, Makrelen, Haie, Thunfische, Tintenfische und Barsche schwammen hier, außerdem gab es Hummer, Langusten, Krabben, Muscheln und Schildkröten. Ghana war neben dem Senegal die bedeutendste Fischfangnation Westafrikas mit einer mehr als 500 Jahre alten Tradition. Bis heute ist Fisch eine der wichtigsten tierischen Proteinquellen, 75 Prozent des heimischen Fangs werden lokal konsumiert. 300 Anlegestellen hat das Fishery Committee for the Gulf of Guinea an der 550 Kilometer langen ghanaischen Küste gezählt. Darunter die Tiefseehäfen in Tema und Takoradi, aber auch Dörfer wie Kokrobite. Zwei Millionen Ghanaer leben von der Fischerei – zehn Prozent der Bevölkerung. 125 000 von ihnen sind Meeresfischer wie Joshua. Die anderen arbeiten als Verkäufer, Zwischenhändler oder Bootsbauer. Doch sie alle bangen um ihre Existenz, weil die Fischgründe erschöpft sind.

"Wir fangen nicht mehr viel", stöhnt Joshua. "Aber manchmal haben wir auch volle Netze", versucht er seine Klage sofort abzumildern. Es scheint, als ob ihm die schlechten Fänge peinlich seien. Als ob sie seine Fähigkeiten als Fischer infrage stellen. Dabei kämpft Joshua einen Kampf, den er gar nicht gewinnen kann: Handwerk gegen Industrie, Holzkanu gegen Fabrikschiff, Intuition gegen satellitengestützte Ortungstechnik.

Die Katastrophe begann, als die UN in den 1980er-Jahren beschlossen, die Hoheitsgewässer auf 200 Seemeilen auszuweiten. Gleichzeitig legten sie fest, dass die Zone zwischen der zwölften und der 200. Seemeile zur wirtschaftlichen Nutzung ausgeschrieben werden muss, wenn ein Land sie nicht selbst abfischen kann. Dazu entschloss sich etwa die Elfenbeinküste, Nachbarland Ghanas. Sie hat an die EU in einem "Fischereipartnerschaftsabkommen" bis 2013 das Recht abgetreten, in ihren Gewässern Thunfisch zu jagen. Dafür zahlt die EU fast 600 000 Euro jährlich. Andere Länder bekommen deutlich mehr. Etwa Mauretanien, das jedes Jahr 70 Millionen Euro kassiert, nicht von den Reedern der Fangschiffe, sondern von den EU-Steuerzahlern. Dass die Gelder oft nicht zur Förderung einer "verantwortungsvollen Fischereipolitik" verwendet werden, wie es in den Verträgen heißt, sondern in die Taschen korrupter Beamter fließen, ist kein Geheimnis.

In Brüssel betont man das Positive: Die EU-Flotte sei ausgelastet und Arbeitsplätze seien gesichert. Außerdem würden die überfischten europäischen Fanggründe entlastet. Das Negative hat Greenpeace aufgelistet: Die Fischbestände vor Westafrikas Küste, und damit die Existenzgrundlage von Millionen Menschen seien ernsthaft gefährdet. Allein der Beifang eines Supertrawlers, der während einer Fangfahrt tot oder sterbend wieder ins Meer geschüttet wird, entspreche dem Jahreskonsum von 34 000 Westafrikanern. Der Lösungsvorschlag der EU: Die europäischen Trawler sollen den minderwertigen Teil ihrer Beute in Afrika verkaufen. Was den Effekt hat, dass die afrikanischen Kleinfischer noch schneller in den Ruin getrieben werden, weil sie mit den Dumpingpreisen nicht mithalten können.

Ghana weigerte sich von Anfang an, Fischereiabkommen zu schließen. Das Land war selbst in der Lage, seine Küsten abzufischen, weil es 140 Trawler aus sowjetischer Fabrikation besaß. Dann aber zwang die Weltbank das Land zum Abwracken und Privatisieren der staatlichen Flotte, die überwiegend von Koreanern und Chinesen aufgekauft wurde. Immer öfter drangen nun auch ausländische Schiffe illegal in ghanaische Gewässer ein. Darunter nicht nur Schiffe unter dubiosen Flaggen wie Honduras, Liberia oder Panama, auch russische, chinesische und europäische Trawler. Die EU-Flotte wird zu zwei Dritteln von spanischen Schiffen gebildet, aber auch deutsche und niederländische Supertrawler gehören dazu. Die größten können pro Tag 250 Tonnen Fisch fangen, verarbeiten und einfrieren. Für die gleiche Menge bräuchte Joshua sein ganzes Fischerleben. Die britische Beraterfirma Marine Resources Assessment Group schätzt, dass Ghana jeden Tag illegal um Fische im Wert von 100 000 US-Dollar gebracht werde.

Ein weiterer Effekt der ausländischen Raubfischerei ist die Verdrängung der alten, in Ghana registrierten Kutter. Sie kommen nun der Küste immer näher und machen dort Joshua die Fische streitig. Wegen der engmaschigen Netze werden Jungfische mitgefangen, womit Nachwuchs fehlt. Auch wenden sie das verpönte Lichtfischen sowie das verbotene Paartrawlen an: Ein Netz wird zwischen zwei Kutter gespannt und alles Meeresleben dazwischen regelrecht wegrasiert.

Es ist neun Uhr, die Sonne sticht bereits, als Joshua den Außenborder starten will, um nach Kokrobite zurückzufahren. Doch so sehr er am Anlasser reißt – der Motor rührt sich nicht. Joshua klappt den Außenborder hoch, nimmt die Verkleidung ab, schraubt herum, verstellt und reinigt das Innere der Maschine. Beim nächsten Versuch knattert der Motor los, säuft aber sofort wieder ab. Joshua schraubt und fummelt. Bange Minuten. Es ist niemand in Sicht, der Joshua den langen Weg zurückschleppen könnte. Schließlich nimmt Joshua den Benzinfilter heraus, versucht ihn zu überbrücken. Und tatsächlich, der kleine Motor tuckert los, einwandfrei, bis Land in Sicht ist.

Am Strand von Kokrobite warten Jugendliche und Kinder, als Joshua die "Oneday" geschickt von einer Welle auf den Strand tragen lässt. Mit Stricken ziehen sie das Boot über Planken auf den Sand und beginnen sofort die Fische aus den Netzen zu ziehen. Der Boden der "Oneday" bedeckt sich langsam mit silbern glänzenden Makrelen und Sardinen, alle klein bis mittelgroß. Am Ende wird der Fang aufgeteilt. Es bildet sich eine Traube. Die Frauen der Fischer verkaufen viele Fische schon am Strand für insgesamt einige Ghanaische Cedis, ein bis zwei Euro, und tragen den restlichen Fang in Bottichen auf dem Kopf ins Dorf.

Es war ein schlechter Tag – "morgen fangen wir mehr"

Joshua, Ahene und James setzen sich in den Schatten der "Oneday" und flicken mit langen Nadeln das Netz. Es ist schon Nachmittag, als Joshua den Außenborder abschraubt und nach Hause trägt. Er bewohnt mit seiner Frau und 13 Kindern ein kleines, bröckelndes Steinhaus, vorn die Küche mit einigen Stühlen, hinten die Betten. Ein Fernseher ist da, ein paar Hühner laufen umher, die Toilette ist im Hof. Es ist nicht schwer zu erkennen, dass man hier von der Hand in den Mund lebt.

Er könne sich keine andere Arbeit vorstellen als Fischfang, sagt Joshua. Er hat weder Land noch ist er gebildet. Seit er zwölf ist, fischt Joshua. Darauf ist er stolz. Es nützt ihm bloß wenig, wenn es keine Fische mehr gibt. Als Joshuas Frau nach Hause kommt, bringt sie 37 Cedis mit, umgerechnet 15 Euro, und einige Fische für das Abendessen. "Manchmal bringt sie auch 100 Cedis mit", sagt Joshua, "und manchmal gar nichts". Von dem Geld müssen Reis, Yams, Öl und Wasser gekauft werden. Und Treibstoff für den Außenborder. Es war ein schlechter Tag sagt Joshua. "Morgen fangen wir mehr."

FISCHEREI UND FLUCHT

Da 90 Prozent der Bestände in europäischen Gewässern als überfischt gelten, kauft die EU Fangrechte von Drittstaaten. Ob mit dem Geld dort eine "nachhaltige und verantwortungsvolle Fischereipolitik" aufgebaut wird, ist zweifelhaft. Das Elend der Fischer in Afrika gilt als ein Grund für ihren Versuch der Migration nach Europa.